Die Freiheit der Advokatur erfordert Freie Software

Ein Essay

Wovon ist die Rede?

Die Freiheit der Advokatur fordert vom Rechtsanwalt, dass er im Interesse seines Mandanten zur Verwirklichung des Rechts unbeeinflusst und frei handelt. Sie fordert, dass er sich in die Lage versetzt, unbeeinflusst und frei zu handeln.

Dies bedeutet, dass er in der Lage sein muss, die Hilfsmittel, derer er sich bedient, zu beherrschen. Er darf sich nicht von diesen beherrschen lassen. Sie dürfen ihn nicht hindern, jederzeit so zu handeln, wie er es selbst für richtig erachtet. Der Anwalt ist in seiner Berufsausübung immer abhängiger von informationstechnischen Systemen.

"Code is Law" schrieb Lawrence Lessig. Software kann in unserer Zeit unsere Freiheit bedrohen, einschränken oder ermöglichen. Programmierer sind also demnach die "Gesetzgeber" unseres Zeitalters. Ihre Produkte bestimmen die Grenzen unserer Freiheit.

Bei Freier Software geht es um die Kontrolle über die beruflich genutzte Computertechnik.

Software wird "Frei" genannt, wenn die Lizenz, unter der sie verbreitet wird, dem Lizenznehmer und Nutzer die Freiheiten des Verwendens für jeden Zweck, des Verstehens durch Studium des Quellcodes, des Veränderns und Verbesserns und schließlich des Weiterverbreitens auch in veränderter Version einräumt.

Freie Software ermöglicht dem Benutzer durch die gewährten vier Freiheiten, ihren Computer zu beherrschen. Unfreie Software beherrscht den Anwender.

Der Benutzer Freier Software ist nicht abhängig von den Vorgaben, Möglichkeiten und Grenzen der von ihm verwendeten Programme, sondern er kann sie nach seinen Wünschen, Bedürfnissen und Ideen anpassen und gestalten.

Vor allem kann er sie aber auch verstehen.

Die Freiheit des Verstehens und der Anpassung der Software nach eigenen Vorgaben ermöglichen dem Anwender eine Beherrschung seines Werkzeuges Computer, welche ihm von proprietärer Software vorenthalten wird. Proprietäre Software ist grundsätzlich weder veränderbar noch transparent.

Anbieter proprietärer Software wollen die Anwender isolieren und beherrschen (GNU-Manifest).

Der Anwender ist demgegenüber bei Freier Software sein eigener "Gesetzgeber", ist also in der Lage eigenverantwortlich und nicht fremdbestimmt zu handeln.

Warum Freie Software in der Anwaltskanzlei?

Vorzüge Freier Software sind die Unabhängigkeit vom Hersteller, die Möglichkeit der Anpassung an die besonderen Bedürfnisse des Unternehmens, Sicherheit durch Offenheit, Freiheit der Wahl unter verschiedenen Lösungen und Einsparpotenzial bei der Infrastruktur durch adäquat dimensionierte Systeme. Freie Software bietet somit Lösungen, die auch helfen, Kosten einzusparen, und die gleichzeitig einen hohen Grad an Flexibilität erlauben.

Die Auswirkungen der Vorteile, die Freie Software bietet und proprietäre vorenthält, lassen sich für die EDV in einer Anwaltskanzlei konkret darstellen.

Sicherheit durch Offenheit

Ein wichtiges Beispiel für die Notwendigkeit des Einsatzes Freier Software in der Anwaltskanzlei ist die Wahrung der Verschwiegenheit.

Die Verschwiegenheitspflicht (§§ 43a II BRAO, 203 StGB, 2 BORA) ist wesentlich für die Erfüllung der Aufgabe des Rechtsanwaltes in einem Rechtsstaat. Die Erfüllung dieser wesentlichen Pflicht erfordert den Schutz der Daten des Mandanten.

Diesen Schutz kann der Anwalt bei Nutzung proprietärer Software nicht eigenverantwortlich gewährleisten. Er ist vielmehr abhängig von der Kompetenz und Seriösität seines Lieferanten. Der Anwalt ist nicht nur eventuell mangels hinreichender eigener Kompetenz faktisch, sondern grundsätzlich außer Stande, die Qualität und Sicherheit der von ihm eingesetzten Software zu prüfen. Er kann sie nicht einmal von einem Fachmann seines Vertrauens prüfen lassen. Jede Kontrolle der von ihm eingesetzten Sofware wird ihm verwehrt.

Sicherheit, die auf der Geheimhaltung des Quellcodes beruht, hat sich oft als ungenügend herausgestellt. "Security by obscurity" führt vielmehr zu einem Verlust von Sicherheit, da Sicherheitsmethoden nicht von unabhängigen Dritten auf ihre Wirksamkeit überprüft und unwirksame Methoden nicht rechtzeitig verworfen werden können.

Dies ist aus Prinzip anders bei Freier Software. Deren Funktionsweise und Sicherheit kann durch Studium des Quellcodes jederzeit nachvollzogen und beurteilt und, wenn nötig, auch verbessert werden.

Da viele kritische Blicke auf den Quellcode geworfen werden können, werden Sicherheitslücken in Freier Software oft schnell erkannt und in der Regel kurzfristig beseitigt.

Die Offenheit des Quelltextes und die Freiheit, ihn bearbeiten zu dürfen, gibt daher eine für die anwaltliche Berufsausübung unabdingbare Sicherheit. Selbst wenn die bisher an der Entwicklung eines Freien Softwareprogrammes Beteiligten diese Tätigkeit einstellen, finden sich oft andere, welche die Weiterentwicklung in die Hand nehmen. Selbst wenn dies nicht geschähe, hat es der Rechtsanwalt immer noch in der Hand - auch zusammen mit anderen Anwendern dieser Freien Software - die Weiterführung der in seiner Kanzlei eingeführten Software zu betreiben bzw. betreiben zu lassen.

Freiheit in der Nutzung eigener Daten

Datensicherheit bedeutet aber nicht nur die Verhinderung des Zugriffs Unbefugter. Sie bedeutet vielmehr auch die nachhaltige Sicherung des jederzeitigen Zugriffs Befugter. Auch insoweit ist die Qualität und Sicherheit Freier Software aufgrund ihrer Transparenz kontrollierbar.

Freie Software ist außerdem grundsätzlich interoperabel, anpassbar und nicht von einem Hersteller kontrollierbar.

Bei Software meint Interoperabilität vor allem, dass mehrere Programme dasselbe Dateiformat oder dieselben Protokolle verwenden können. Die Kontrolle eines Herstellers über ein Programm und die damit erzeugten Daten führt regelmäßig zu einer als Vendor Lock-in bezeichneten Herstellerabhängigkeit.

Verwendet der Anwalt Freie Software, so ist er auch nicht abhängig von den Vorgaben und den Vorstellungen des Programmherstellers. Vielmehr kann er die Software an seine Bedürfnisse und seine eigenen Vorgaben und Vorstellungen und die von ihm erkannten Notwendigkeiten anpassen oder anpassen lassen.

Wenn Daten, welche eine wichtige Grundlage der anwaltlichen Berufsausübung bilden, in Datenformaten gespeichert und verarbeitet werden, die der Fremdkontrolle des Softwareherstellers unterliegen, entstehen gravierende Abhängigkeiten.

Informationen, die in einem Format gespeichert werden, das nur die Software eines Herstellers lesen kann, sind potentiell verloren. Der Anwender muss sich fragen, ob Software, die in der Lage ist, seine Daten zu lesen und zu bearbeiten, noch in zehn oder fünfzehn Jahren zur Verfügung steht.

Wenn die Verfügbarkeit der Daten und Programme der eigenen Einflusssphäre entzogen ist, kann diese Abhängigkeit nämlich zu einer Existenzfrage für den Datenbesitzer werden. Die Freiheit der Advokatur findet dann ihre Grenzen in der Produktpolitik eines Softwareherstellers. Prekär wird die Situation dann, wenn Inkompatibilitäten zwischen verschiedenen Softwareversionen auftreten oder der Hersteller das Produkt abkündigt, d.h. Weiterentwicklung und Fehlerbeseitigung einstellt, oder sogar insolvent wird.

Proprietäre Software mit proprietären Dateiformaten liefert ihre Anwender somit einer prekären Situation aus. Sie sind vom Wohlwollen und der Existenz des Herstellers abhängig. Wer seine Daten in proprietären Formaten speichert, setzt seine Produktivität durch eine inadäquate Datensicherung aufs Spiel.

Da Freie Software in der Regel freie und offene Standards implementiert hat, ist der Anwalt unabhängig vom Willen und Schicksal des Softwareherstellers in der Lage, auch mit anderen Programmen und auch nach Jahren noch auf seine Dokumente und Daten zuzugreifen und sie auszuwerten.

Mit offenen Standards haben Anwender die Auswahl unter verschiedenen Programmen. Sie sind daher die Voraussetzung für einen freien Markt und einen fairen Wettbewerb.

Freie und offene Standards bewirken somit, dass Anwender flexibel über ihre Softwareinfrastruktur verfügen können und nicht in "Sachzwängen" stecken, aus denen sie sich bestenfalls mit hohem Aufwand befreien können.

Freie und offene Standards ermöglichen darüber hinaus den Austausch von Dokumenten mit anderen, unabhängig davon, welche Software in welcher Version bei den Beteiligten zum Einsatz kommt.

Zwischenergebnis

Unabhängigkeit und Softwarevielfalt sowie die Verwendung Offener Standards bieten nach Expertenmeinung im Falle Freier Software eine gute Basis für IT-Sicherheit. Da Sicherheit jedoch ein Prozess und kein Produkt ist, muss man das System genau kennen, regelmäßig warten und Sicherheitslücken schnell beheben, um "auf der sicheren Seite zu sein".

Zwar bietet der Einsatz Freier Software in diesem Prozess bedeutende strategische Vorteile, wie dargelegt worden ist, aber er bietet allein noch keine Gewähr für ein sicheres System. Dies haben Beispiele in der Vergangenheit eindrucksvoll vor Augen geführt.

Daher fragen sich vielleicht manche, ob die von verschiedenen Unternehmen angebotene "Cloud" ein Ausweg sein kann. Dies ist klar zu verneinen!

Fortschritt durch Interoperabilität

Wie dargelegt, bedeutet Interoperabilität, dass dasselbe Dateiformat oder dieselben Protokolle durch Software unterschiedlicher Hersteller verwendet werden können. Nur offene Standards gewährleisten diese Interoperabilität.

Offene Standards sind somit die Voraussetzung für interoperable Nachrichtenübertragung und damit auch für "E-Government", für verbindlichen elektronischen Rechtsverkehr und für das papierlose Büro. Die hierfür notwendigen Dateiformate und Protokolle stehen als offene Standards zur Verfügung und sind von Freier Software implemetiert worden. Dass die genannten Errungenschaften der EDV bisher nicht in dem Maße genutzt werden können, wie es schon seit langer Zeit immer wieder in Aussicht gestellt wird, resultiert vor allem auch aus der mangelnden Durchsetzung offener Standards.

Compliance

Eine Rechtsanwaltskanzlei hat "compliant" zu sein, also vor allem die gesetzlichen Bestimmungen und abgeschlossenen Verträge einzuhalten. Das gebieten die Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und die Notwendigkeit des Vertrauens in seine Seriösität.

Da Freie Software auf beliebig vielen Computersystemen, Prozessoren und Prozessorkernen und auch auf virtuellen Maschinen, sowie beliebig lange eingesetzt werden darf, bedarf es auch keines Lizenzmanagements. Dies befreit nicht nur von der Obacht, Urheberrechtsverstöße zu vermeiden, sondern auch von der Sorge, wegen eines Lizenzablaufes oder anderer Probleme in diesem Zusammenhang könnte demnächst ein System nicht mehr funktionieren.

Der Anwender Freier Software, der sich auf sein gutes Recht "use for any purpose" berufen kann, wird auch nicht mit dem Thema Softwarelizenzaudit belästigt. Klar ist, dass die Hersteller von proprietärer Software dieses Instrument in erster Linie zur Generierung weiteren Umsatzes einsetzen. Dabei kommt ihnen zupass, dass die Verwaltung von Softwarelizenzen bei professionellem Einsatz in den letzten Jahren sehr komplex geworden ist. Hierzu hat nicht nur der technische Fortschritt in Gestalt von Cloud Computing und Virtualisierung beigetragen. Sondern es erschweren auch neue Nutzungsmodelle von unterschiedlichen Herstellern ein effektives Lizenzmanagement durch IT-Anwender und -Verantwortliche.

Wegen der Komplexität der Verwaltung von Softwarelizenzen bei professionellem Einsatz drohen dem Anwender nach einem Audit hohe Nachzahlungen und Vertragsstrafen. Auch können sich im schlimmsten Falle (zivil- und straf-)rechtliche Konsequenzen für Unternehmensverantwortliche ergeben.

Zur Meidung oder zumindest Minderung dieser zu erwartenden Auditfolgen kann zwar vorher externe Beratung eingeholt werden, was aber wiederum Kosten verursacht. Zwar kann eine solche Beratung möglicherweise auch zukünftig Lizenzkosten einsparen. Aber dann hat man in der Vergangenheit zuviel gezahlt, ohne das diese "ungerechtfertigte Bereicherung" des Softwareherstellers kondiziert werden kann. Man hatte ja "nur" den falschen Lizenzvertrag abgeschlossen, und "pacta sunt servanda".

Hinzu kommen noch interne Auditkosten, denn zur tunlichen Betreuung der Auditoren ist sachkundiges Personal abzustellen.

Diese wiederkehrenden Kosten dürfen bei der Berechnung der Total Cost of Ownership nicht außer Acht gelassen werden.

Wer als professioneller Anwender Softwarelizenzaudits und deren Risiken, Nebenwirkungen und Folgen vermeiden will, tut also gut daran, Freie Software einzusetzen. Dann hat er auch keine diesbezüglichen Complianceprobleme.

Die "Erfindung" neuer Nutzungsmodelle seitens der Hersteller proprietärer Software und deren Durchsetzung bei zeitlich befristeter Lizenzierung raubt dem professionellen Anwender Planungssicherheit. Insoweit kann das bei proprietärer Software meist gegebene Vendor-Lock-in nicht von Anfang an ersichtliche, erhebliche finanzielle Auswirkungen für den Anwender haben.

Dass die Unabhängigkeit vom Hersteller und Einsparpotenziale bei der Infrastruktur durch adäquat dimensionierte Systeme, sowie die Lizenzkostenfreiheit dazu betragen können, auch die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts in wirtschaftlicher Hinsicht zu stärken, sei abschließend erwähnt.

Freiheit durch Vielfalt

Freie Software gibt es vom Betriebssystem und der grafischen Desktop-Umgebung, über Browser, Mailclient, Datenbankmanagementsystem, Pdf-Reader, Office-Suiten bis hin zur Kanzleisoftware für fast alle denkbaren Aufgaben und Anwendungsbereiche. Oft hat man die Qual der Wahl unter mehreren Lösungen. Jeder Anwalt kann daher für alle in einer Kanzlei anfallenden Aufgaben eine für ihn und sein Team gute Lösung finden, wobei Ausprobieren unproblematisch möglich ist.

Aus diesen Gründen erfordert die Freiheit der Advokatur den Einsatz Freier Software in Rechtsanwaltskanzleien.